Jeder war schon da – kaum einer kennt diesen Platz – Ma‘alot

verfasst am 28. Dezember 2021
von Martina Langel

Inhaltsverzeichnis
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    Vom Dom zum Rhein erstreckt sich in Köln ein langer Weg über viele Stufen hinunter. Unter der großen Platzfläche befindet sich im Keller der Konzertsaal der Philharmonie. Hier wird international musiziert, es werden Wettbewerbe für Musiker und Dirigenten ausgetragen. Dann darf der Platz nicht betreten werden: die Wachleute sind gut zu sehen.

    Dieser Platz ist der künstlerisch eindrucksvollste Platz in Köln, er ist ein begehbares Kunstwerk des Künstlers Dani Karavan. Seine Kunstwerke finden sich in vielen bedeutenden Städten weltweit. Ausgewählte Materialien, wie Eisen, Granit, Backstein und Bäume wurden durch die künstlerische Gestaltung von Dani Karavan 1986 zu einem besonderen Platz gemacht, an dem Menschen sich gerne aufhalten sollen. Es ist ihm gelungen, die Geschichte an diesem Ort zu berühren.

    Platz der Freude im Herzen von Köln

    Ja klar und keine Ahnung – das sind die Antworten auf die Fragen:

    Kennst du diesen Platz mit den Treppen zwischen Dom und Rhein?
    Kennst und bemerkst du die Bedeutung dieses Platzes?

    Wie soll ich beginnen? Ich kann über den Künstler erzählen, Dani Karavan, der diesen Ort entwickelt hat. Ich glaube, es würde ihn nicht freuen – ich werde es dennoch tun, aber später. Ich kann den Ort beschreiben, so wie man ein Kunstwerk, vielleicht eine Skulptur, beschreiben würde. Auch das ist nicht passend. Wie soll es also beginnen, wo es doch eigentlich so einfach ist. Zugegeben, es ist auch ungewohnt für uns.

    Platz der Freude im Herzen der Stadt

    Ich beginne mit einer Einladung zu einem Spaziergang vom Rheinufer langsam hinauf zum Dom. Man kann die Stufen steigen, es bietet sich auch mal ein Weg über die Schräge unter den Bäumen an. Die große runde Platzfläche vor dem Museum kann man auch begehen, dann weiter durch die Passage zwischen den Museumsbauten auf den Chor des Kölner Domes zu.

    Gedanken während des Gehens

    Wir bemerken viel: Menschen aus aller Welt, alte und junge, wir hören viele Sprachen, sehen einen Boden aus Backsteinen, Granitplatten und Stahlelementen. Auch der sechsteilige Stufenturm ist uns nicht entgangen.

    Köln ist ein Ort, den Menschen seit mehr als 2000 Jahren besuchen, an dem sie leben, wo sie Handel treiben. Köln ist eine Stadt, in die Menschen kommen – seit über 1000 Jahren – , weil sie mit Gebeten und Bitten unterwegs sind, sie pilgern. Viele kamen und kommen  vom Rhein hinauf in die Stadt, hinauf zum Heiligtum, hinauf zur Kathedrale. Die dunklen und schmerzhaften Seiten der Geschichte sind hier auch spürbar, gegenüber von Deutz aus, wurden so viele Menschen deportiert.

    Ma’alot – Ein Aufstiegsgesang

    Kann ein Ort einen Widerhall hervorrufen? Kann er Gedankenverbindungen wachrufen? Lassen wir uns an diesem Ort von Assoziationen in verschiedene Richtungen tragen? Dani Karavan hat diesen öffentlichen Auftrag als ersten in Deutschland angenommen (1980-86). Durch die Architekten Busmann und Haberer wurde Karavan angesprochen. Seine Zustimmung, diesen Ort als Herausforderung anzunehmen, war für Köln ein großes Glück. Es war eine Ehre, dass Karavan in Deutschland gearbeitet hat.

    Dani Karavan

    Er hat seine Kindheit in Tel Aviv verbracht. Er wird groß zwischen Wüste, Sand und Meer. Schon der Beruf seines Vaters hat mit  Landschaftsgestaltung zu tun. Dani erlebt eine Kindheit zwischen jüdischen und arabischen Kindern in Frieden und ein Land im Aufbruch. Er studiert Kunst in Israel, geht nach Florenz, lernt Freskotechniken kennen und befasst sich mit den italienischen Stadträumen der Toskana.  Er arbeitet mit unterschiedlichen Materialien an vielen Orten. Es zeigt sich immer mehr, dass er für einen bestimmten Ort Arbeiten entwickelt. Sie gehören nur an diesen Ort.

    Regensburg

    Ein Beispiel sind die kleinen Mauern in der Regensburger Innenstadt: er hat sie genau über den ausgegrabenen Resten der zerstörten Synagoge angelegt. Heute sind die Mauern Sitzplätze für Menschen, die Pause machen, die Kinder beim Spielen und Hüpfen beobachten.

    Was passiert dort? Es ist der Ort des Glaubens der jüdischen Gemeinde, es ist auch der Ort größter Verachtung und Vernichtung, es ist ein Ort des Vergessens, der einfach überbaut wurde. Und jetzt – Karavan hat einen Ort entwickelt, der Menschen miteinander ins Gespräch und ins Spiel bringen kann.

    Aufstiegsgesang

    Wenn wir miteinander in Kontakt stehen und die anderen sehen und kennenlernen, können wir in Frieden und im Respekt miteinander leben.

    Das ist eine wichtige Botschaft aus den Arbeiten Karavans. Auch in Köln ist es ein Platz der Begegnung. Der Aufstiegsgesang ist den Psalmen entnommen (122), die das Volk Israel am Fuße des Tempelberges in Jerusalem gesungen hat. Hier in Köln kommen Pilger aus der Welt an den Fuß des Domhügels.

    Es lohnt ein erneuter Weg von unten nach oben über die Stufen. Backsteine unter unseren Füßen, bei großer Hitze gebrannte Erde, die Steine in Rhythmen verlegt. Dazwischen Raum für das Leben der Moose und Flechten. Die Eisenplatten und auch die Eisenbahnschiene aus Eisen; Eisen, das rotglühend in von Menschen gefertigte Formen fließt. Die Zahl 6 ist für Karavan bedeutend, ebenso die 1,80 m, das Maß des Menschen. Die Schiene in Richtung Deutz sagt auch: vergesst die dunkle Geschichte nicht und das Gedenken der ermordeten Menschen. Hier führt der Weg unter Akazien und Ahornbäumen vorbei.

    Ma’alot ist der Name für diesen Ort in Köln, hier kann man die Schritte verlangsamen und sich verbunden fühlen mit den Menschen im Laufe der Jahrhunderte.

    Dani Karavan hat an vielen Orten auf dieser Welt Arbeiten entwickelt. Er ist 2021 im Alter von 90 Jahren verstorben. Versöhnung zwischen Menschen zu unterstützen war ihm wichtig.

    Haben Orte ein Gedächtnis, können wir gelebte Geschichte an Orten erfahren? Sind sogenannte soziale Skulpturen oder Environments ein Beitrag dazu?

    Pause machen

    Ich habe schon mit vielen Menschen an diesem Ort gestanden, verschiedene Perspektiven entdeckt und Gespräche geführt. Viele verschiedene Gedanken und Assoziationen tauchen auf. Mein Tipp:  stehen bleiben, schauen, sich umdrehen und einmal in aller Ruhe vom Rhein die Stufen hinaufgehen.

    Kommentare
    Geschrieben von Anja Broich am 3. Januar 2022 um 18:21 Uhr

    Liebe Martina,

    gefällt mir sehr gut, Dein Beitrag zu Ma’alot. (Wie auch Deine gesamte schön und benutzerfreundlich gestaltete Webseite) Danke auch für die Links am Ende. Für mich ein wichtiger Erinnerungsanstoß, denn ich wollte schon lange mal nach Portbou, nun rücke ich es vor, auf meiner Liste und verbinde es mit meinem nächsten Besuch in Frankreichs Süden.

    Liebe Grüße verbunden mit den besten Wünschen für ein frohes und gesundes neues Jahr.
    Anja

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